Friedensnobelpreis 1983: Lech Wałęsa

Friedensnobelpreis 1983: Lech Wałęsa
Friedensnobelpreis 1983: Lech Wałęsa
 
Der polnische Arbeiterführer erhielt den Nobelpreis für seinen Einsatz für freie Gewerkschaften und für sein Eintreten für Freiheit und Menschenrechte.
 
 
Lech (Leszek) Wałęsa, * Popowo (Polen) 29. 9. 1943; ab 1967 Arbeiter auf der Leninwerft in Danzig, Gründung der Gewerkschaft Solidarnošč im Oktober 1980, Hausarrest in den Jahren 1981-82, Sieg der Solidarnošč bei freien Wahlen 1990, 1990-95 Präsident Polens, 1995 Wahlniederlage gegen die Kommunisten.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Der Friedensnobelpreisträger von 1983, Lech Wałęsa, war zu diesem Zeitpunkt kein Politiker. Er war ein Elektromonteur einfacher Herkunft, der auf der Leninwerft in Danzig (Gdansk) arbeitete. Seine historische Leistung bestand in dem Aufbau einer freien Gewerkschaft im kommunistisch regierten Polen. In seiner Begründung führte das Nobelpreiskomitee aus, dass es zu den Menschenrechten gehöre, den Arbeitern das Organisationsrecht zu sichern. Sich für die Menschenrechte einzusetzen heiße aber auch, sich für den Frieden einzusetzen. Alle Versuche, zu friedlichen Lösungen zu gelangen, seien ein Beitrag zur internationalen Entspannung. Deshalb sei Lech Wałęsa ein würdiger Empfänger des Friedensnobelpreises.
 
 Streiks auf der Danziger Leninwerft
 
Ende 1970 hatte Lech Wałęsa erstmals auf sich aufmerksam gemacht. Die polnische Regierung hatte angekündigt, die Lebensmittelpreise drastisch zu erhöhen. In vielen Städten kam es daraufhin zu Protesten und Streiks. Auf der Leninwerft in Danzig gehörte Wałęsa einem Streikkomitee an. Die polnische Regierung ging mit Gewalt gegen den Widerstand vor. Viele Menschen kamen ums Leben. Die Ablösung von Parteichef Władisław Gomułka durch Edward Gierek schien eine Besserung der Lage herbeizuführen. Doch setzte auch er keine wirklichen Reformen durch.
 
So kam es im Juni 1976, nach erneuten Preissteigerungen für Lebensmittel, landesweit wieder zu Streiks. Die Regierung verhaftete viele der streikenden Arbeiter und urteilte sie im Schnellverfahren ab. Als Reaktion auf diese staatlichen Willkürmaßnahmen gründeten Oppositionelle und Intellektuelle das »Komitee für die Verteidigung der Arbeiter« (KOR). Ihr Hauptziel war die Unterstützung für die verurteilten Arbeiter. Zugleich aber wurde das KOR zum Sammelbecken aller Kräfte, die für mehr Demokratie und Freiheit im kommunistischen Polen eintraten. Sein Gewicht nahm deutlich zu, als sich die Arbeiterschaft dem KOR anschloss und ein »Gründungskomitee der Freien Gewerkschaften« ins Leben gerufen wurde. Diesem gehörte auch Wałęsa an, der, inzwischen einer der aufstrebenden Kräfte der Arbeiterbewegung, wegen seinen Aktivitäten von der Leninwerft entlassen worden war.
 
Zuversicht und Optimismus schöpften die Oppositionellen aus dem Besuch, den 1979 der polnische Papst Johannes Paul II. seiner Heimat abstattete. Im Sommer 1980 spitzte sich die Situation dramatisch zu. Die wirtschaftliche Lage war schlecht, die Arbeiter forderten Lohnerhöhungen. Zum Zentrum der Proteste wurde einmal mehr die Danziger Leninwerft. Die Koordination der Aktionen der Arbeiter übernahm Lech Wałesa.
 
Der Regierung wurde ein umfangreicher Katalog an Forderungen überreicht, an dessen Spitze die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften und die Garantie des Rechts auf Streik stand. Obwohl die polnische Regierung von Moskau auf eine harte Linie eingeschworen worden war, gab sie nach. Daraufhin erklärte Wałęsa als Verhandlungsführer der Arbeiter den Streik für beendet. Am 24. Oktober 1980 erfolgte die offizielle Zulassung der »Solidarnošč« (Solidarität), jener Gewerkschaft, deren Name untrennbar mit Lech Wałęsa verbunden ist. Ein Jahr später hatte die Gewerkschaft bereits 9,5 Millionen Mitglieder.
 
 Die Regierung in Angst
 
In der kommunistischen Regierung Polens wuchs indes die Besorgnis, mit den Zugeständnissen an die Arbeiterschaft und an die Reformbewegung die Kontrolle über die Verhältnisse zu verlieren. Ende 1981 verhängte der neue starke Mann, Ministerpräsident Wojziech Jaruzełski, das Kriegsrecht über das Land. Das war auch der Versuch, eine von dem sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew geplante militärische Intervention der UdSSR in Polen zu verhindern. Es erging ein allgemeines Reiseverbot, die Grenzen wurden geschlossen, die Telefonleitungen unterbrochen. Weiterhin wurden die Organisationen der Studenten und der Arbeiterschaft verboten. Das bedeutete auch das vorläufige Ende der Solidarnošč. Der Arbeiterführer Wałęsa wurde unter Hausarrest gestellt, damit er nicht zum aktiven Widerstand aufrufen konnte. Versuche, Wałęsa in dieser Zeit durch die Zusage von Privilegien für die Sache der Regierung zu gewinnen, blieben erfolglos.
 
 Vom Streikführer zum Staatspräsidenten
 
1983 erhielt Wałęsa von der Regierung — unter misstrauischer Aufsicht des Geheimdiensts — die Erlaubnis, wieder seine Arbeit auf der Leninwerft aufzunehmen. Im April erschien er dort mit der Ankündigung, das Elektroauto reparieren zu wollen, das ihm während des Auguststreiks von 1980 als Rednerpult gedient hatte. Im Herbst desselben Jahrs erfuhr die Weltöffentlichkeit, dass Wałęsa den Friedensnobelpreis erhalten hatte. »Ich glaube,« so kommentierte Wałęsa die Nachricht vor seinen Kollegen, »es ist. .. die Anerkennung für uns alle, die auf friedlichem Weg, durch Verständigung zur Wahrheit kommen wollen.« Wałęsa verzichtete darauf, den Preis in Oslo persönlich in Empfang zu nehmen. Zu groß war die Sorge, dass die polnische Regierung ihm die Wiedereinreise verweigern würde. So reiste seine Ehefrau Danuta in die norwegische Hauptstadt und verlas eine Dankesrede des Preisträgers. Darin bekannte sich der Begründer und Chef der verbotenen Solidarnošč zur gewaltfreien politischen Auseinandersetzung und unterstrich seine Forderung nach Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit der Arbeiter.
 
Mit dem Friedensnobelpreis hatte Wałęsa noch lange nicht den Gipfel seiner Karriere erreicht. Dank des politischen Tauwetters in den kommunistischen Staaten Europas, an dem er durch sein Eintreten für Freiheit und Menschenrechte großen Anteil hatte, wurde 1989 die Solidarnošč wieder zugelassen. Nun auch zu einer politischen Kraft geworden, nominierte die Solidarnošč eigene Kandidaten für die ersten freien demokratischen Wahlen im Sommer 1989. Bei diesen errangen sie einen überwältigenden Sieg. Im Dezember 1990 trat der ehemalige Werftarbeiter Wałęsa für das Amt des polnischen Präsidenten an. Fast 75 Prozent der Wähler stimmten für den Arbeiterführer und Friedensnobelpreisträger. 1995 jedoch musste Wałęsa, der durch seine autoritäre Amtsausübung an Beliebtheit verloren hatte, das Präsidentenamt an den Exkommunisten Aleksander Kwasniewski übergeben.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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